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24.02.2020

Verkehrte, verrückte Welt: der Thurgau im Zeichen der Negativzinsen

Sparen wird angesichts der Null- und Negativzinsen nicht mehr belohnt. Die Liegenschaftspreise steigen derweil weiterhin - auch im Thurgau. Die Leiter der grössten Geschäftsstellen von Raiffeisen und der Kantonalbank im Thurgau analysieren die Lage.

Seit fünf Jahren gibt es in der Schweiz Negativzinsen. Sie wurden von der Schweizerischen Nationalbank (SNB) als Notmassnahme eingeführt, um den Franken nicht zu sehr erstarken zu lassen. Es wird viel gespart, jedoch im Verhältnis dazu eher wenig investiert: Ein bedrohliches Phänomen, das der frühere amerikanische Notenbankchef Ben Bernanke als «Sparschwemme» bezeichnet hatte. In diesem globalen Strudel müssen auch Verantwortliche der Thurgauer Finanz- und Immobilienbranche Wege finden, um erfolgreich am Markt zu bestehen. Werner Fleischmann, Inhaber von Fleischmann Immobilien, hat deshalb mit Heinz Uhlmann und Dominik Holderegger diskutiert, welches die aktuellen Herausforderungen sind. Uhlmann ist Leiter der grössten Niederlassung der Thurgauer Kantonalbank in Frauenfeld, Holderegger führt die grösste Thurgauer Raiffeisenbank in Tägerwilen.

Verschuldung nicht belohnen
Etliche Bankinstitute überlegen sich gemäss des Bankenbarometers des Beratungsunternehmens EY, für hohe Guthaben auf Bankkonten auch bei Privaten Negativzinsen zu erheben. Ein Szenario, das sowohl Raiffeisen wie Kantonalbank möglichst vermeiden wollen. Als nicht zielführend beurteilt Uhlmann, wenn auf Hypotheken Negativzinsen erhoben werden. Das tönt zwar völlig verkehrt und verrückt, ist aber in aussergewöhnlichen Einzelfällen bereits passiert: Gemäss verschiedenen Medienberichten begannen einzelne Banken schon 2019, dem Schuldner Geld für die Kreditaufnahme zu bezahlen. Es ist auch kein Geheimnis, dass es sogar Thurgauer Gemeinden gibt, die Geld bekommen, wenn sie einen Kredit aufnehmen. Minuszinsen für Wohneigentumsbesitzende, so Dominik Holderegger, könne er sich nicht vorstellen, genauso wenig wie Negativzinsen auf Spargeldern von Kunden: «Das ist ja, wie wenn ich zahlen müsste, damit ich am Morgen arbeiten darf.» Niemand wisse, so Heinz Uhlmann, wie die Situation in zwei, drei Jahren aussehe, aber «im Moment sind Negativzinsen auf Hypotheken kein Thema». Holderegger ist überzeugt, «dass es nicht im Interesse der Nationalbank ist, Verschuldung zu belohnen». Werner Fleischmann prophezeit jedoch, dass der Immobilienmarkt volatiler werde: «Dann wird der Käufer für Schulden doch noch belohnt.»

Negative Folgen für Wirtschaft
Genau deshalb fordert die Schweizerische Bankiervereinigung eine öffentliche Diskussion über die gesamtwirtschaftlichen Folgen der Langzeit-Negativzinsen. In einer Medienmitteilung fasst sie zusammen, dass die Negativzinsen ihren wirtschaftspolitischen Zweck nicht mehr erfüllten. Sie hätten vielmehr negative Folgen: «Sie schaffen Verschuldungsanreize und verursachen einen Anlagennotstand.» Es sei angezeigt, «den Weg für den Ausstieg aus dem Krisenmodus zu ebnen».

Es braucht weiterhin Banken
Wie aber gestalten die beiden Thurgauer Bankleiter den Weg in die Zukunft? Dominik Holderegger setzt auf Ertragsdiversifikation: «Damit haben wir schon vor den Negativzinsen begonnen, was sich jetzt auszahlt.» Das Anlagegeschäft und der Devisenhandel seien zu einem beachtlichen Ertragspfeiler geworden. Banken brauche es weiterhin – auch für das Kreditgeschäft, das ein wesentlicher Teil des Wirtschaftssystems sei: «Die Kunden wollen sparen, vorsorgen und anlegen.» Heinz Uhlmann ist der Überzeugung, dass das Finanzierungsgeschäft ein wichtiges Standbein der Banken bleibe, sie sich im veränderten Umfeld jedoch neu positionieren müssten. Das Geschäftsmodell werde jedoch nicht grundsätzlich in Frage gestellt. Werner Fleischmann ist es sehr wichtig, seinen Kunden eine Bank zu empfehlen, die der Käuferschaft auch weiterhin reibungslos eine Hypothek gewährt: «Viele Kunden holen verschiedene Offerten ein, aber vielfach entpuppt sich die günstigste Variante als zu komplex und nicht machbar.»

Es kommen wieder andere Zeiten
Angesprochen auf die Zinsmarge, räumen beide Bankleiter ein, dass sie wesentlich tiefer sei also noch vor zehn Jahren. Indes: «Diese Wellenbewegungen sind nicht aussergewöhnlich», gibt Holderegger zu bedenken. Ende der 1980er und in den 1990er Jahren habe eine ähnliche Margensituation geherrscht. Solche Marktbegebenheiten seien immer wieder Anlass für eine natürliche Bereinigung. «Aber wir sind weit weg von dramatisch», erklärt er. Uhlmann versteht die Sparerin, die ein Vermögen von 30‘000 Franken hat und die sich ärgert, wenn sie kaum noch Zinsertrag darauf erzielen kann. Deshalb habe man interessante Produkte entwickelt, die es bereits mit kleinen Beträgen ermöglichen, ein Anlagevermögen aufzubauen. Holderegger verweist auch darauf, dass die angepassten Geschäftsmodelle langfristig ausgerichtet seien: «Es kommen wieder andere Zeiten, in denen wir froh sind, diese Kundengelder zu haben.»

Liquiditätsgetrieben statt spekulativ
Heinz Uhlmann sieht gegenwärtig keinen Anlass zur Befürchtung, dass sich eine Immobilienblase bilden könnte, die zu platzen droht. Sowohl er als auch Dominik Holderegger haben ihren Geschäftssitz in einer der besonders boomenden Thurgauer Regionen und beurteilen wie Werner Fleischmann die Entwicklung sehr dynamisch aber nicht besorgniserregend oder überhitzt. Uhlmann rechnet nicht mit einem baldigen oder gar hohen Zinsanstieg. Die Zinsen, so Uhlmann, «bleiben tief und ich erwarte keine Rezession. Zudem haben 90 Prozent der Hypothekenkunden das Zinsänderungsrisiko mit Festhypotheken langjährig abgesichert.» Holderegger geht ebenfalls nur von einer moderaten Zinserhöhung aus – wenn überhaupt, und: «Die Regulatorien wirken. Probleme gibt es nur in Einzelfällen.» Die Situation sei grundlegend anders als zur Zeit des Immobiliencrashs der 1990er Jahre: «Damals waren viele Investitionen rein spekulativ, heute hingegen vornehmlich liquiditätsgetrieben.»

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