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22.05.2020

Keine Reserven zu haben, ist eine Zeitbombe

Vorwärts schauen, am gleichen Strang ziehen: So lautet die Devise einer kleinen Gruppe Wirtschaftsvertreter aus der Tourismus-, Druckerei-, Medien- und Immobilienbranche. Im Kloster Fischingen – einem Ort, der vom wirtschaftlichen Stillstand besonders betroffen ist – dachten sie über Strategien nach, um zur Normalität zurückzufinden.

Der Thurgauer Gewerbepräsident und Inhaber der Fairdruck AG in Sirnach, Hansjörg Brunner, rückt nebst vielen erheblichen wirtschaftlichen Einbussen – auch in seinem Unternehmen – die andere Seite der Coronakrise in den Fokus, die man nicht vergessen dürfe: «Übers Ganze gesehen ist das Gewerbe nicht nur schlecht durch die Krise hindurchgekommen.» Brunner differenziert, denn er weiss, dass die Gastronomie und der Detailhandel enorm gelitten haben. Durchaus gut gewirtschaftet hätten in den vergangenen Monate Firmen im Baugewerbe. Findige lokale Gewerbevertreter hätten sich auch den Onlinehandel zunutze gemacht. Alle zählen nun darauf, dass die Solidarität mit den lokal verwurzelten Firmen auch digital zu spielen beginnt. Der Gewerbeverband werde deshalb seine Mitgliedsfirmen bei digitalen Themen noch vermehrt unterstützen.

Von den Besten lernen
Brunner ist auch Verwaltungsrat und Produzent der «REGI die Neue», deren Verlags- und Redaktionsleiter Peter Mesmer gerade auch in notleidenden Branchen konkrete Beispiele von Unternehmen kennt, die dank guter Ideen und unternehmerischer Notfallkonzepte erfreuliche Geschäftsentwicklungen verzeichnen durften. Es gelte nun, von den Besten zu lernen, vorwärts zu schauen und am gleichen Strang zu ziehen. Dies betont auch Werner Fleischmann, Inhaber der gleichnamigen Immobilienvermittlungsfirma. Mesmer stellt eine gewisse Grundangst fest. Dagegen, so Brunner, müsse man mit vereinten Kräften ankämpfen. Von der Wirkung solcher Solidarität ist auch der Gastgeber des Round-Table-Gesprächs und Direktor des Klosters Fischingen, Werner Ibig, überzeugt.

Verstand walten lassen
Ibig selber und seine Mitarbeitenden mussten extrem flexibel sein, «denn seit dem Stillstand Mitte März ist unser Hauptgeschäft, das Hotel, bis auf den heutigen Tag tot». Ibig hat gewisse grössere Investitionen aufs Eis gelegt, andere vordringliche Renovationen dafür vorgezogen. Vom angelegten finanziellen Polster kann er noch eine Weile zehren, aber das geht gehörig an die Substanz. Er betont: «Keine Reserven zu haben, ist in Krisen eine Zeitbombe. Das ist eigentlich ein Naturgesetz.» Aber genug Polster für eine längere Zeit zu haben, sei in einer wertschöpfungsarmen Branche unmöglich. Deshalb rechnen Brunner und er in der Gastronomie und der Hotellerie in den kommenden Monaten mit einer Strukturbereinigung. Die Erfahrung lehre, so Brunner, dass jene Firmen kaum überleben werden, die es schon vor Coronazeiten schwer hatten. Was die Mieten von Geschäftsräumlichkeiten betrifft, gelte es auf beiden Seiten, den gesunden Menschenverstand walten zu lassen. Staatlich verordnete Mietzinserlass finden alle Gesprächsteilnehmer hingegen nicht zielführend. Fleischmann verweist ausdrücklich darauf hin, «dass wir im Thurgau viele Eigentümer mit Gewerbeliegenschaften haben. Diese müssen die Hypothekarzinse auch alleine tragen.»

«Jetzt ein Zeichen setzen»
Wichtig, so Brunner, sei nun, «dass die Konsumentenstimmung besser wird. Es reicht schon ein Kleider- oder Schuhkauf. Es muss ja nicht grad ein Haus sein», sagt er mit einem Augenzwinkern. Liegenschaftsexperte Werner Fleischmann gibt ihm Recht und hat Verständnis für eine gewisse Zurückhaltung. Indes: «Gerade die langjährigen Hauseigentümer werden sicherlich weiterhin investieren und mit ihren Unterhaltsarbeiten das Baugewerbe stimulieren.» Ebenfalls hätten unverändert viele junge Familien trotz der aktuellen Situation genügend Vertrauen in die Zukunft und hielten Ausschau nach ihrem Traumhaus: «Das gibt ein gutes Marktfundament für die Wohneigentümer, die über einen Verkauf nachdenken.» Hansjörg Brunner: «Wir müssen alle dazu beitragen, dass wir die Sicherheit zurückbekommen.» Der Gewerbeverband engagiere sich deshalb auf dem politischen Parkett und mit Werbekampagnen dafür.

Geduld ist gefragt
Schritt für Schritt – aber sehr langsam – steigt auch die Nachfrage im Kloster Fischingen wieder. Ibig erwähnt, dass beispielsweise die Brauerei mit dem Onlinegeschäft wenigstens einen Teil des Ausfalls wettmachen konnte. Die vielen Absagen von Anlässen, Seminaren und den beiden Saisonbierfesten seien aber extrem einschneidend gewesen. Vorderhand konnte nun das Tagesrestaurant geöffnet werden. Für das Seminargeschäft sei es noch äusserst schwierig: Firmen können nur interne Anlässe im Seminarhotel durchführen, wobei die Gruppengrösse die Zahl von fünf Personen nicht übersteigen darf, wenn externe Referenten zugezogen werden – ein Killerfaktor. Es sei ein Glück, dass viele Anlässe nur verschoben worden seien. Für den Herbst sehe es im Moment «recht gut aus». Bis in seinem Seminarhotel wieder alles völlig normal läuft, dürfte es bis zu eineinhalb Jahre dauern, mutmasst Ibig. Indes: Er spüre seitens der Gäste viel Solidarität, wenn auch viele selbst unter der Unsicherheit litten.

Lob für unkomplizierte Hilfe
Brunner stellt zudem fest, dass der Thurgau die aussergewöhnliche Situation besonders gut meistert und lobt etwa die Zusammenarbeit mit den Banken. Die Überbrückungskredite seien innerhalb von Stunden mit «Kleinstprüfung» geflossen: «Unkomplizierter hätte es nicht sein können.» Es sei richtig gewesen, dass man grosszügig war, auch wenn das eine oder andere schwarze Schaf die Situation ausgenutzt habe. Nicht alle hätten zudem den vorsorglich beantragten Kredit wirklich gebraucht. Er rechne auch nicht damit, dass es zu einer grösseren Entlassungswelle komme. Dazu trage etwa die ausgezeichnete Zusammenarbeit und unternehmerische Art des Thurgauer Amts für Wirtschaft und Arbeit und des Regierungsrats bei. Sofort sei ein Formular für Schnellverfahren erhältlich gewesen, und die Kurzarbeitsentschädigungen würden sehr schnell entrichtet.

«Wirtschaft lebt von Mobilität»
«Der Kanton der kurzen Wege» sei in dieser Zeit besonders zum Tragen gekommen. Brunner weiss aus seiner Tätigkeit im Vorstand des Schweizer Gewerbeverbandes, wie sehr dieses Netzwerk Tragfähigkeit bewiesen hat. Werner Fleischmann spricht vom «A und O»: Gegenseitiges Vertrauen und partnerschaftliche Kundenbeziehungen trügen dazu bei, dass man sich gerne unterstütze. Nun hoffen die vier Wirtschaftsvertreter, dass auch die Mobilität wieder in Schwung kommt, denn, so Werner Ibig: «Die Wirtschaft lebt von der Mobilität.»

Im Kloster Fischingen läuft der Betrieb zögerlich wieder an: Direktor Werner Ibig (rechts) im Gespräch über wirtschaftliche Lockerungs- massnahmen mit Liegenschaftsexperte Werner Fleischmann, Gewerbepräsident Hansjörg Brunner und Medienfachmann Peter Mesm
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